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Gerald Türmer

Schmerz und Leid - gibt es einen Unterschied?





Lange dachte ich, Schmerz und Leid wären dasselbe.

Beides fühlte sich unangenehm an, und ich wollte auch beides regelmäßig vermeiden.

Dies mündete in eine Art Flucht vor mir selbst.


Doch eines Tages wurde ich durch irgendein Buch (ich weiß leider nicht mehr welches, man möge mir dies verzeihen...) darauf aufmerksam gemacht, dass es da einen Unterschied zwischen Schmerz und Leid gibt.

Und ich fand heraus, dass dieser Unterschied für mich entscheidend ist.

Denn während Schmerz durchlebt und durch gefühlt werden kann, verhält sich das mit dem Leiden etwas anders. Leid bleibt, wenn der Schmerz sich nicht auflöst.

Leid entsteht, wenn der Schmerz keinen Raum bekommt, wenn er verdrängt und nicht ausgedrückt wird und das über eine lange Zeit. Irgendwann ist der Schmerz nur noch latent im Hintergrund wahrnehmbar und entwickelt sich zu einem stillen Leiden. Manchmal mündet das auch in einer Depression.

Tränen können, müssen aber nicht unbedingt fließen. Wichtig ist, der Schmerz wird wahrgenommen, gefühlt und bekommt eine Stimme durch z.B. Singen, Malen, Schreiben, Schauspiel, Tanzen etc.

Die durch Verdrängen entstandene Blockade drückt sich oft auch in der Sprache aus, wenn wir sagen, dass mir das Wort im Halse stecken blieb. Der verdrängte nicht gefühlte Schmerz des Schreckens z.B. ist in diesem Moment zu stark und verfestigt sich durch Erstarren. Dadurch kann er sich nicht auflösen und bewirkt seelisches Leiden. Wenn dieses lange genug besteht, wird es meist sogar zu einem körperlichen Leiden.

Wenn ich leide, habe ich entweder bewusst das Fühlen und Ausdrücken des Schmerzes vermieden, sei es zum Selbstschutz, um nicht noch mehr verletzt zu werden oder weil ich es einfach so gelernt und u.a. von meinen Eltern z.B. unbewusst übernommen habe.

Nicht selten ist es auch so, dass die Menschen um uns herum (oft schon in der Kindheit) mit dem kindlichen Schmerz nicht umgehen konnten und ignorierten dieses Gefühl oder machten es gar lächerlich. Im schlimmsten Fall wurden Schmerzäußerungen jeglicher Art verboten.

Bei mir war es so, dass mein weinender trauriger Gesichtsausdruck als nicht schön angesehen wurde. Doch schön sein war für mich sehr wichtig. Schön zu sein mit allem was ich bin und ausdrücke. Was bleibt, als dieses ohnehin schon unangenehme Gefühl einfach zu verdrängen oder nur noch im stillen Kämmerlein zu weinen?

So fehlt dann allerdings die Erfahrung, nicht allein sein zu müssen bei Kummer und Schmerz und von anderen Menschen gehalten zu werden. Zurück bleibt das Gefühl von Isolation und Einsamkeit.

Auf diesem Wege erschaffe ich mir so zukünftig einen Mangel an Authentizität in meinem Leben. Ein Stück meines Seins darf nicht gezeigt, vielleicht sogar nicht einmal gelebt und ausgedrückt werden. Es wird zum Selbstläufer.

Bedauerlicherweise gehörten meine Eltern mit vielen anderen zu der traumatisierten Kriegsgeneration, die ihre Tränen des Kummers und des Schreckens, des Verlassenwerdens und der Angst hinunterschlucken mussten. Für Gefühle war keine Zeit und Energie vorhanden, das materielle Überleben hatte Vorrang.

Die Not war und ist teilweise immer noch so groß, dass die weinenden und schreienden Kinder die Erinnerungen des eigenen Schreckens wachriefen und es bis heute tun. Es bleibt den überforderten unbewussten Eltern nichts anderes übrig, als das Kind möglichst schnell zum Schweigen zu bringen.

Ein Kind wiederum tut alles, um die Eltern nicht unglücklich zu machen bzw. schuld daran zu sein, dass sie leiden. Es ist ja auch abhängig von den Eltern.

So nimmt es sich zurück und leidet genau wie sie....so lange, bis es in der Lage ist, einen Unterschied zu machen und das stille Leiden durch Fühlen und Ausdrücken des Schmerzes zu beenden, optimalerweise mit liebevoller Begleitung.

Wenn dies geschieht, kehrt die Lebendigkeit zurück und der Lebensfluss bahnt sich wieder seinen Weg.



Durch diese Erfahrung verliert die Angst vor Schmerz bzw. dem Fühlen des Schmerzes ihre Macht und das Leben wird wieder leichter, bunter und lebendiger.

Nicht zu vergessen ist, dass sich dadurch alle Beziehungen in meinem Leben automatisch mit verändern. Sei es, dass sie ebenfalls lebendiger, echter und tiefer werden oder sie lösen sich ganz auf. Auch das ist möglich.


Als erwachsener Mensch sind wir mit zunehmendem Bewusstsein in der Lage, selbst zu entscheiden:

Wollen wir das Zulassen und Ausdrücken des Schmerzes oder das stille Leiden?

Wofür möchtest du dich heute entscheiden?


Biodanza kann ein Zugang zu den eigenen Gefühlen, auch zu den unangenehm empfundenen wie Schmerz, sein. Es besteht dann die Möglichkeit der Erfahrung von Schutz, Verständnis und Gehaltenwerden.

Im Besonderen auch dadurch, dass meiner Meinung nach bei den Biodanza-Vivencias die Gruppe ein starkes positives Energiefeld bietet, um sich fallen lassen zu können.


In der Regel wird während den Vivencias nicht gesprochen, es gibt also kein Zerreden und Analysieren von Gefühlen.

Der Kopf (Verstand) hat dadurch Pause bzw. doch zumindest kein direktes Mitspracherecht. Er sitzt sozusagen kauend im Sessel mit einem Cocktail in der einen und einem Snack in der anderen Hand. In diesen Momenten untersteht er den Anweisungen des Herzens und darf das Ganze auch noch genießen. Wir brauchen uns also keine Sorgen um ihn zu machen. Wenn er gebraucht wird, steht er wieder schnell genug gestärkt (und vielleicht auch ein wenig besoffen? ;-) ) auf der Matte.

Im besten Fall entscheiden wir selbst darüber, wann das sein wird.


So lasst uns das Leben tanzen wie es sich gerade zeigt!


Ich würde mich freuen, wenn ich den einen oder anderen zum Fühlen von traurigen, unangenehm empfundenen Gefühlen einladen konnte, sie münden vielleicht sogar in einer Befreiung oder gar einer tiefen Freude, wer weiß.

Auch ich bin immer noch dabei, verdrängte schmerzhafte Gefühle zu entdecken, zu erwecken, zum Fliesen zu bringen und zu erlösen....

Falls ich noch etwas vergessen habe zum Thema bzw. ihr noch gerne was hinzufügen mögt, schreibt mir gerne eure Kommentare dazu.

Vertiefungen und/oder Ergänzungen sind immer herzlich willkommen.


Alles Liebe mit schwingenden Tanzbeinen und Armen, was das Zeug hält,

Rita





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